Mehr Cargobikes für weniger Autos

„Lastenräder sind für viele zu teuer. Einige Initiativen verleihen sie deshalb kostenlos. Noch nutzen das Angebot vor allem überzeugte Radfahrer. Das soll sich ändern.

Von  Andrea Reidl

Friedrich, Franz und Sirene sind seit Mitte März im Dauereinsatz. 120 Fahrerinnen und Fahrer bringen mit ihnen und Dutzenden weiteren Transporträdern jeden Tag 800 Lebensmittelpakete der Berliner Tafel zu den Empfängern. Das sind rund 2,5 Tonnen Lebensmittel pro Woche. Friedrich, Franz und Sirene sind „freie Lastenräder“. Eigentlich können Anwohner und Anwohnerinnen sie kostenlos oder gegen eine kleine Spende ausleihen. Aber im Zuge der Pandemie mussten zwischenzeitlich viele der öffentlichen Stationen wie Cafés oder Vereine schließen. Die Organisatoren verliehen die Räder in dieser Zeit vermehrt an soziale Projekte, Apotheken oder Buchhandlungen.   

Was 2013 als Projekt von sieben Idealisten aus Köln begann, könnte sich in einigen Städten zu einer echten Alternative zum Auto entwickeln. Mit 120 Transporträdern macht die fLotte Berlin den Stadtbewohnern den Umstieg leicht. Jedenfalls in der Theorie. In der Praxis sind die Räder oft wochenlang im Voraus reserviert. Das zeigt den großen Bedarf, aber auch die Grenzen des Verleihsystems.  

Die Freien Lastenräder sind ein Projekt von der Zivilgesellschaft für die Zivilgesellschaft. Es lebt vom Engagement der Einzelnen. Oftmals sammelt eine Initiative Geld für die Räder und baut ein Netzwerk von Stationen auf. Tankstellenbetreiber, Vereine, Rathäuser oder auch Supermärkte beherbergen die Räder, die man kostenlos oder gegen eine freiwillige Spende borgen kann. Die Stationsbetreiber übergeben die Schlüssel an die Fahrerinnen und erklären ihnen bei Bedarf auch die Eigenheiten der Schwertransporter. Das ist aufwendig und kostet Zeit. Ebenso wie die Organisation der Flotte.

Verleih ersetzt Autofahrten

Inzwischen sind über 90 Initiativen in über 30 Städten entstanden. In Berlin betreut der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) den Fuhrpark. Das Team um Thomas Büermann kümmert sich um die Online-Ausleihe, die Wartung und die Reparatur der Räder. 2017 haben sie mit drei Bikes begonnen. Inzwischen sind es 120. Privatleute, Unternehmen wie Dense, Vattenfall oder Alnatura sponserten weitere Räder und die Senatsverwaltung stockte den Bestand nochmals um 40 auf. „Von der sauberen, platzsparenden und leisen Mobilität profitiert der ganze Kiez“, sagte Regine Günther, Senatorin für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz. Sie hofft, damit den Autoverkehr im Zentrum zu reduzieren.

Das funktioniert. „40 bis 50 Prozent unserer Nutzer sagen, dass sie damit Autofahrten ersetzen“, sagt Büermann. Das bestätigt auch eine Studie des Instituts für transformative Nachhaltigkeitsforschung Potsdam (IASS) und dem Reallabor für nachhaltige Mobilitätskultur der Uni Stuttgart. Die Wissenschaftlerinnen haben zudem festgestellt: Die Mieter der Freien Lastenräder sind im Schnitt 38 Jahre alt, zu 65 Prozent männlich und bereits hauptsächlich mit dem Fahrrad in der Stadt unterwegs. 

Die meisten Nutzer haben ohnehin kein Auto

„Ich glaube nicht, dass die Leute, die Transporträder ausleihen, anschließend ihr Auto verkaufen“, sagt Hannes Wöhrle, Initiator der ersten freien Lastenrads Kasimir aus Köln. Die meisten Nutzer besäßen ohnehin keinen eigenen Wagen. Dennoch haben die Organisatorinnen die Lastenräder für Privatpersonen im Stadtbild etabliert und einen Bedarf aufgezeigt.  

Soll der Verleih eine breitere Zielgruppe erreichen, muss die Ausleihe leichter werden. Mobilitätsforscherin Sophia Becker vom IASS plädiert dafür, sie in den etablierten Car- und Bike-Sharing-Betrieb zu integrieren. „Der Aufwand ist gering. Die Buchungssoftware, das Netzwerk und die Zielgruppe sind bei stationären Sharing-Anbietern bereits vorhanden“, sagt die Wissenschaftlerin. Die Stadt Hamburg hat im vergangenen Jahr 20 Cargobikes in den städtischen Bike-Sharing-Verleih aufgenommen. Auch hier zeigt sich: Die Räder sind permanent im Einsatz.

Das Lastenrad verbreitet sich

In Hannover arbeitet die Freie-Lastenrad-Initiative des ADFC seit einem Jahr mit dem lokalen Car-Sharing-Anbieter Stadtmobil zusammen. Zwei der 35 Cargobikes stehen seitdem im Zentrum an den Verleihstationen. Sie sind laut Maaret Westphely von Stadtmobil etwa 30 Prozent der Zeit unterwegs – ohne jegliche Werbung. An den Buchungstagen wurden die Räder oftmals mehrmals ausgeliehen. Das ist bei den Freien Lastenrädern unmöglich. Sie können nur für ein bis drei Tage gemietet werden, um den Aufwand für die ehrenamtlichen Verleiher zu reduzieren.  

In den kommenden Monaten sollen weitere „Hannah“ genannte Lastenräder in Hannover an Car-Sharing-Stationen platziert werden. „Wir wollen das Lastenrad als einen regulären Baustein der urbanen Mobilität etablieren“, sagt Westphely. Zunächst mit 30 bis 50 zusätzlichen Cargobikes im Zentrum. Swantje Michaelsen, die die ADFC-Flotte in Hannover betreut, ist zufrieden: „Vor drei Jahren kannte ich in Hannover jeden Lastenradfahrer“, sagt sie. Mittlerweile begegnen ihr jeden Tag zwei bis drei von ihnen im Zentrum. Ihre Fahrer und Fahrerinnen kennt sie schon lange nicht mehr. 

Inzwischen werden Freie Lastenräder auch in Ungarn und Österreich angeboten. Die notwendigen Tipps, Informationen und die kostenlose Buchungssoftware bekommen sie vom Forum Freie Lastenräder. Dort ist auch schon ein Handbuch entstanden, das gerade ins Englische übersetzt wird. Damit Lastenräder weltweit durch die Stadtzentren rollen.“

Der zuvor wiedergegebene Beitrag erschien am 26.05.2020 bei ZEIT ONLINE unter https://www.zeit.de/mobilitaet/2020-05/freie-lastenraeder-organisation-umweltschutz-klimaschutz-strassenverkehr/komplettansicht (Abruf am 13.06.2020).

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